Unwörter sind, laut offizieller Definition, »Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen«. Es geht nicht um schludrigen Sprachgebrauch, sondern um unsere Gesellschaft, die sich durch die Sprache offenbart.
Seit 2005 initiiert eine Gruppe Darmstädter Fotografen jedes Jahr aufs Neue eine Ausstellung zum Unwort des Jahres. Unabhängig von der Unwort-Jury, von Geldgebern oder Medien. Jeder Fotograf präsentiert zwei Arbeiten, mit denen er oder sie das Unwort des Jahres ganz persönlich und subjektiv visualisiert und interpretiert.
Rückführungspatenschaften
2020 – Rückführungspatenschaften ist ein Begriff aus einem Vorschlag der EU-Kommission zu einem neuen Asyl-Paket.
Die Positionen zu Migration und Asyl sind vielfältig und scheinen unvereinbar. Doch die Familie Europa tut alles, um über diesen Streit nicht auseinanderzubrechen. Dazu gehört auch, dass wir Menschen in Moria und auf dem Mittelmeer verrecken lassen oder kompromisslosen Rechtspopulisten „Rückführungspatenschaften“ anbieten.
1 Mensch, 7 Positionen
Gegenüber dem Menschen auf der Flucht habe ich sieben europäische Positionen ausgemacht, die ich in einer Art „Familienaufstellung“ zusammenbringe und in ein Verhältnis zueinander setze: vier politische Haltungen zur Migration und drei zu Europa.
Klimahysterie
2019
1. Mose 1:28 – Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan und herrschet über Fische im Meer und über Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden kreucht.
(Bibelzitat aus der Schöpfungsgeschichte, Auftrag Gottes an Adam und Eva)
Alternative Fakten
Greatest ever!
2017 – Die „Alternativen Fakten“ – das Original von Kellyanne Conway – sind weder Lüge noch Betrug: Dazu ignorieren sie viel zu offensichtlich jeden Anspruch auf Wahrhaftigkeit.
Die Schamlosigkeit, mit der Trump sein Recht auf uneingeschränkten Superlativ einfordert, macht mich atemlos. Dafür habe ich in Deutschland zum Glück keine Entsprechung gefunden. Ja, es wird hemmungslos gelogen, aber – so schmutzig die Lügen auch sein mögen – wenigstens irgendwie nachvollziehbar.
Volksverräter
Noch zwei besorgte Bürger
2016 – Zwei, die sich viele Gedanken gemacht haben um das deutsche Volk. Die den Volksverräter konsequent zu Ende gedacht und den Begriff in einer Bedeutungstiefe und -breite erfasst haben, die alle Dimensionen sprengt. Und die ihr „Volk“ in einem beispiellosen Maße verraten haben.
Die beiden Portraits sind nur in veränderlichen Merkmalen verändert: Frisuren, Bart, Brille, Schmuck, Kleidung. In ihren unveränderlichen Merkmalen sind die Bilder original. Links Joseph Goebbels, rechts Adolf Hitler.
Lügenpresse
2014 – Das Wort "Lügenpresse" ist weder eine Auseinandersetzung mit der Wahrheit noch mit der Medienlandschaft, sondern steht wie ein Schutzschild vor der Meute. Auf PEGIDA-Demonstrationen als Kampfruf skandiert, wirkt die Diffamierung in zweierlei Weise: Erstens werden unliebsame Weltbilder ausgehebelt, zweitens muss sich PEGIDA Kritik an eigenen Positionen nicht stellen. "Lügenpresse" verweigert Verständnis, blockiert Austausch und erschlägt Gegenargumente. Und teilt die Welt in Rechthaber und Zuhörer.
Sozialtourismus
Leserbrief zum Schiffsunglück vor Lampedusa von „Radowan“ in „ShortNews“ am 21.10.2013:
„Ich hätte die Leichen von den Fischen auffressen lassen. Nun kosten die „Armutsflüchtlinge“ die EU, und damit hauptsächlich den deutschen Steuerzahler, doch noch einen Haufen Geld.“
Für meine fotografische Auseinandersetzung wähle ich die hartherzigste Abgrenzung, an der ich als EU-Bürger in den letzten Jahren Anteil habe: Wir lassen Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, einfach ertrinken. Ich bin nach Agrigento gereist, um nach Bildern zu suchen, die das Ende der Reise von „Sozialtouristen“ zeigen. Gefunden habe ich winzige Blicke auf hoffnungsvolle Leben, die hätten gelebt werden können. Und meine eigene Verwicklung: Ich bin drinnen. Sie sind draußen.
Opfer-Abo
"Können diese Augen lügen?"
2012 – Männer sind die Täter, Frauen die Opfer. Der Unwort-Urheber Jörg Kachelmann sieht sich als Leidtragender dieses Vorurteils – und stellt ihm selbst ein anderes entgegen: Frauen werden als schutzbedürftig empfunden, ihnen wird leichtfertig geglaubt und von kritischen Fragen werden sie möglichst verschont. "Opfer-Abo" impliziert: Wenn eine Frau einen Mann der Vergewaltigung beschuldigt, sind die Vorwürfe grundsätzlich zu bezweifeln.
Das eine Vorurteil ist weder "wahrer" noch "besser" als das andere. Wir alle haben Vorurteile – sie machen das Leben leichter und überschaubarer. Wenn wir aber wirklich über etwas oder jemanden zu urteilen haben, stehen uns solche Vorurteile im Weg. Wir müssen uns ein Bild machen – in jedem Einzelfall neu, sorgfältig und mit offenem Ergebnis.
Dönermorde
2011 – Das Wort „Dönermorde“ ist sehr weit weg von den Menschen, die ihre Leben oder einen Angehörigen verloren haben. Der Gang zu den Orten, an denen gemordet wurde, ist ein Moment des Gedenkens.
Das Unwort des Jahres ist eine sprachkritische Aktion, die in Deutschland 1991 von dem Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser ins Leben gerufen wurde. Sprecherin der Unwort Jury ist heute Prof. Nina Janich.